Genre
Rock
Shows
77 Shows in 32 Städten / 10 Ländern
Zeitraum
01.03.2004 - 17.10.2024
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Es ist mir sowas von Gleichgültig, dass mit an absolut grenzender Wahrscheinlichkeit die "Old-School" Neubauten Fraktion zu dieser Platte sagen wird, dies wären nicht mehr die EINSTÜRZENDEN NEUBAUTEN. Puritaner aller Länder, verpisst Euch! Diese Platte ist großartig. Konsequent wird hier die Entwicklung weiterverfolgt, die die NEUBAUTEN seid "Tabula Rasa" eingeschlagen und mit dem letzten Album "Ende Neu" fortgeführt haben. "Silence is sexy" ist das wohl melodischste und, wie der Titel schon sagt, ruhigste Werk der EINSTÜRZENDEN NEUBAUTEN. So ruhig, dass zum Beispiel die erste Strophe des Titelstückes darin besteht, das die komplette Band zwar inclusive ihrer Instrumente und Mikros live im Studio "plugged" sind, aber nichts spielen. Tatsächlich sind einige der Stücke vollkommen live und ohne Overdubs eingespielt. Blixa Bargelds Texte sind wie gewohnt ausgesprochen lyrisch, doch vor allem an vielen Stellen humorvoll wie z.B. in "Musentango". "Küsst mich die Muse will ich tanzen, nicht unbedingt, aber vielleicht- Wenn ich tanze will ich trinken, nicht unbedingt, aber vielleicht- Wenn ich trinke muss ich singen, nicht unbedingt, aber vielleicht- Und wenn ich singe dann küsst sie mich, vielleicht".Texte die noch immer alles übertreffen, was aus einer anderen großen deutschen Stadt kommt und die glücklicherweise nichts mit irgendeiner sogenannten Schule zu tun haben. Die Neubauten präsentieren sich auf "Silence is sexy" auch in neuer Besetzung, nachdem ja bereits während der "Ende Neu"-Phase der Split mit F.M. Einheit vollzogen wurde und Mark Chung ja schon vorher ausstieg. Die beiden neuen sind dennoch alte Bekannte aus eben demselben Umfeld, die auch schon während der letzten Tour dabei waren. Jochen Arbeit und Rudi Moser von DIE HAUT. Wer die CD, oder Platte das erste Mal ein- bzw. auflegt, sollte unbedingt darauf achten, das alle Regler ganz weit nach rechts gedreht sind, um in den vollen Genuß des phantastischen ersten Stückes "Sabrina" zu kommen. Für das Stück lohnt es sich sogar mal hin und wieder in einen der grausigen Musiksender im TV zu schalten. Ein wirklich aus der Masse herausragender Videoclip. Die Erstauflage der CD kommt incl. einer Bonus-CD, mit dem über achtzehnminütigen "Pelikanol". Selbiges soll sich wohl auch auf dem Vinyl befinden.
Ein Film über Berlin in den 90ern, versehen mit dem Soundtrack der EINSTÜRZENDEN NEUBAUTEN. Den Film kenne ich nicht, und die NEUBAUTEN interessieren mich schon seit über zehn Jahren nicht mehr. Ganz ungünstige Ausgangsbedingungen also, wobei die Platte in musikalischer Hinsicht durchaus okay und sogar richtig atmosphärisch ist. Sehr positiv ist, dass Blixa überwiegend die Klappe hält und man nicht zu penetrant auf irgendwelchen Mülltonnen herumklopft. Wenn man mal einen Moment vergisst, dass hier die Feuilleton-Desperados EINSTÜRZENDE NEUBAUTEN am Werk waren, kann man mit diesem musikalisch sehr geschlossenen Werk durchaus warm werden, ganz im Gegensatz zu den letzten kreativen Ergüssen dieser Band. Und nochmal Neubauten, in Form einer sehr schön und aufwendig gestalteten Doppel-CD im Digipack. Der Titel deutet bereits an, worum es sich hier handelt: ein Rückblick auf die letzten zehn Jahre, als sich die Neubauten aus der fast reinen Subkulturexistenz der Achtziger verabschiedet hatten, kurz vor der Auflösung standen, mit Mark Chung und F.M. Einheit zwei Leute die Band verließen und in der verstärkten Theaterarbeit die Gruppe quasi neu erfunden wurde. ich persönlich hatte da das Interesse an der Band schon verloren, mir war das alles irgendwie zu verkopft geworden und dieses Geturtel der einstigen Punks mit dem Feuilleton suspekt bis zuwieder, ich legte keinen Wert mehr darauf, mich mit den alle paar Jahre erscheinenden neuen Alben auseinanderzusetzen. Nein, ich bereue meine Ignoranz nicht, aber gleichzeitig finde ich es spannend, mit dieser zwei CDs umfassenden Zusammenstellung von uveröffentlichten, raren und anders gemischten Songs quasi einen Schnelldurchlauf der Jahre '91 bis 2000 in die Hände zu bekommen. Vielleicht hätte ich mich doch mehr mit Bargeld & Co. beschäftigen sollen...
Was soll man noch über die EINSTÜRZENDEN NEUBAUTEN schreiben? Ihren Weg beschreiben? Gestartet unter den Autobahnbrücken Berlins in die Theater der Metropolen. "Kollaps", "Mensch", "Haus der Lüge" - alles Klassiker! Wer die Neubauten und ihr letztes Album "Silence is Sexy" mag, der wird mit "Perpetuum Mobile" mehr als nur zufrieden sein. Natürlich singt Blixa Bargeld ab und zu wie Rio Reiser "Ein leichtes leises Säuseln" und lässt uns an seinem Seelenleben teilhaben. Wem die Neubauten deshalb zu interlektuell oder zu sülzig sind, der sollte auch hier die Finger von lassen. "Grundstück", "Was ich in deinen Träumen suche? Ich suche nichts. Ich räume auf". "Der Weg Ins Freie", "Ich schlafe fest. Langsames Erwachen. Die Zentrifugalkraft war nicht mehr stark genug die Gedanken, die sich nahrungslos erfolglos im Kreise drehen herauszuschleudern, damit weiter eine beschlafbare Stille in meinem Schädel herrschen könnte". Also, so ruft mir das CD-Regal zu: "Paradiesseits allemal. Hier ist allemal noch Platz für dich". Deshalb mein Rat: Kaufen! (66:56) (09/10)
In den letzten Monaten hat sich das englische Label Cherry Red löblich hervorgetan durch die Wiederveröffentlichung von lange nicht mehr erhältlichen Film/Video-Dokumenten aus den Achtzigern, die so rein gar nichts zu tun haben mit billig zusammengeklatschten VHS-Livemitschnitten, die keiner braucht. Bei "1/2 Mensch" handelt es sich um eine Produktion des japanischen Regisseurs Sogo Ishii, der Blixa Bargeld und Co. im Jahre 1986, nach der Veröffentlichung des legendären "1/2 Mensch"-Albums, in Japan filmte. Nicht einfach nur live, nein, er ließ die Band in den verlassenen Nakamatsu-Stahlwerken auftreten, vor einer Schrott-, Stahl- und Abbruch-Kulisse, was einerseits passt, andererseits auch beinahe schon wieder des Klischees zu viel ist. Aber nun gut, als Kritik ist das nicht wirklich gemeint. EN spielen vor dieser Kulisse sechs Songs, die auch auf dem gleichnamigen Album enthalten sind ("Halber Mensch", "Z.N.S.", "Sehnsucht (zitternd)", "Der Tod ist ein Dandy", "Letztes Biest (am Himmel)", "Das Schaben"), während die anderen wichtigen Album-Songs "Yü-Gung (Fütter mein Ego)", "Trinklied, "Seele brennt" und "Sand" fehlen, an deren Stelle "Zerstörte Zelle", "Die Zeichnungen des Patienten O.T.", "Abfackeln" und "Armenia" getreten sind. Keine 1:1-Umsetzung der Platte, vor allem aber keine Playback-Spielereien, sondern in fast allen Fällen beeindruckende Liveaufnahmen aus einer riesigen, fast leeren Industriehalle, aufgezeichnet in perfekter Tonqualität. Witzig, wie da an einer Stelle die "Waffen" der Band in Videogame-Manier vorgestellt werden, nebst technischer Daten: Bohrer, Rüttler, Flex und was da sonst noch zum Einsatz kommt, wird mit japanischen Schriftzeichen beschrieben. Zu diesen Livemitschnitten kommen zwei Kurzfilme/Videoclips zu "Halber Mensch" und "Z.N.S.", letzteres mit einer sehr seltsamen japanischen Tanzgruppe im Hintergrund. Ein beeindruckendes visuelles Dokument der Band auf dem Höhepunkt ihrer Kreativität, zumindest was mein Empfinden anbelangt. Ton- und Bildqualität sind exzellent.
Anfang dieses Jahrzehnts standen EINSTÜRZENDE NEUBAUTEN plötzlich ohne Plattvertrag da, waren etwas ratlos über den weiteren Weg der Band. Auf eine Idee der Webmasterin Erin Zhu entstand dann der Plan, sich gar nicht um einen neuen Vertrag zu bemühen, sondern die nächste Platte über einen Supporter-Beitrag von 35 Euro pro Person durch die Fans zu produzieren, die Fans quasi als "Aktionäre" an der Band zu beteiligen. Mittels verschiedener Chats, Webcams und Dokumentation wurde den zahlenden Fans aus aller Welt dann eine exklusive Möglichkeit gegeben, das Entstehen einer neuen Platte mitzuverfolgen, das Gesehene und Gehörte zu kommentieren und diskutieren. So entstand unter neubauten.org eine tausende Leute zählende Supporter-Group, und da EN ihre Unterstützer ernst nehmen, hier nicht das normale Verhältnis zwischen nervenden Fans einerseits und genervter Band andererseits besteht, fand wohl beinahe so eine Art Austausch unter Fachleuten statt. Ein interessantes Phänomen des Internet-Zeitalters, und die Filmemacherin Danielle De Picciotto schuf in den letzten zwei Jahren auf Anregung von Blixa Bargeld diese Doku über die Supporter, interviewte dazu eine Reihe von ihnen wie auch die Band und ihr Umfeld, und begleitete zudem EN auf der Tour 2004. So entstand ein faszinierendes Portrait einer Band, die ich selbst zwar schon vor 15 Jahren aus den Augen verloren habe (und ehrlich gesagt interessieren mich die neueren Platten auch nicht besonders), die aber ganz spezielle Fans hat, die der Krise des Musikgeschäfts mit einem ganz eigenen Weg entgegentritt, sich einmal mehr neu erfunden hat. Ein sehenswerter Film, der um Bonusmaterial ergänzt wurde. (8)
Zum 20. Geburtstag von EINSTÜRZENDE NEUBAUTEN drehten die Filmemacher Christian Beetz und Birgit Herdlitschke im Auftrag von ZDF und arte die Dokumentation "20 Jahre Einstürzende Neubauten - 20 Jahre Sehnsucht: Hör mit Schmerz", die aber damals völlig an mir vorüberging und dann, wie sie so viele teure, aufwendige Produktionen des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks, auf Nimmerwiedersehen im Archiv verschwand. Über England und Cherry Red, wo unlängst schon die "Halber Mensch"-DVD erschien, ist jetzt dann doch noch die Zweitverwertung erfolgt, und so kommt man in den Genuss einer vorzüglichen sechzigminütigen Doku über Blixa Bargeld und seine Mitstreiter, die auf Deutsch, aber mit englischen Untertiteln versehen, die Jahre von 1980 bis 2000 rekonstruiert, mit jeder Menge Originalmaterial und eigens dafür geführten Interviews. Zusammen mit der unlängst erschienenen DVD "On Tour With ..." hat man so einen umfassenden Überblick über das damalige wie gegenwärtige Schaffen einer einzigartigen Band, die für meinen Geschmack freilich ihre wichtigsten und besten Platten in den Achtzigern veröffentlicht hat. Interviewt wurden für "Hör mit Schmerzen" alle Mitglieder von EN, auch die ausgestiegenen, ihre damalige Tourmanagerin, Stevo vom Some Bizarre-Label, Nick Cave und so weiter, und da TV-Produktion, ist hier qualitativ rein gar nichts auszusetzen. Pflichtstoff. (9)
Diese DVD mit dem Titel "Palast der Republik" enthält einen 82-minütigen Konzertmitschnitt vom 04. November 2004 aus dem ehemaligen Parlamentsgebäude der Deutschen Demokratischen Republik in Ost-Berlin. Der Jahre währende Streit um Weiternutzung oder Abriss (nach aufwändiger und kostenintensiver Asbestsanierung beschloss der Bundestag 2003 den Abriss) ergab eine zeitlich begrenzten Zwischennutzung und diese nutzten die EINSTÜRZENDEN NEUBAUTEN für ein Konzert im Stahlskelett der Palast-Ruine. Zeitweise begleitet von einem hundertköpfigen Chor, bestehend aus Unterstützern des Neubauten-Internet-Projektes, geht es durch die 25-jährige Bandgeschichte. Von "Armenia" über "Haus der Lüge" und "Was ist ist" bis hin zu "Perpetuum Mobile". Nun, zum Einsturz haben sie ihn nicht gebracht, den "Palazzo Prozzo", der Rückbau läuft erst seit Anfang 2006. Diese DVD ist mit einem Audiokommentar der Band auf Deutsch und Englisch versehen, "Wir sitzen hier alle und öffnen erst einmal eine Flasche Champagner ...", und dürfte so eher für eingefleischte Fans interessant sein. Erwähnenswert scheinen mir noch die Liveversionen von "Grundstück Part 1.-3.", "Weilweilweil", Unseasonable weather" sowie "Vox poluli". (8)
Die Alben der EINSTÜRZENDEN NEUBAUTEN schaffen jedes mal eine neue, ganz besondere Atmosphäre, so auch auf "Alles wieder offen". Dabei sind 27 Jahre Bandgeschichte auch an den Neubauten nicht spurlos vorübergegangen. Die Instrumente (wenn man sie denn so bezeichnen möchte, da haben ja einige eine ganz andere Auffassung) kämpfen nicht mehr gegeneinander, sondern ergänzen sich und lassen Raum, Raum für Vibraphon, Orgel und Streicher. Nach drei Dekaden haben sich die Musiker geändert und für sich neue Möglichkeiten entwickelt. Die Band ist sich dennoch ihrer Historie bewusst, Reminiszenzen finden sich sowohl auf textlicher Ebene, "Nagorny Karabach" verweist auf "Armenia", "Weilweilweil" mit dem Refrain "Lass dir nicht von denen raten / Die ihren Winterspeck der Möglichkeiten / Längst verbraten haben" erinnert mich musikalisch an "Dingsaller" als auch auf musikalischer, bei "Susej" stammt die dem Stück zugrunde liegende Rhythmusgitarrenspur aus den Achtziger Jahren, eingespielt von Blixa Bargeld in einem Flutkeller des Hamburger Hafenklangstudios. Aber dennoch sind, auch wenn sich die Parameter geändert haben, die EINSTÜRZENDEN NEUBAUTEN dem unentdeckten Geräusch weiterhin auf der Spur. Die Suche dauert also an und das ist gut so. (53:21) (8)
Wer die Neubauten zuletzt live gesehen hat, dem sind die vielleicht die merkwürdigen Karten aus einem Kästchen aufgefallen, welche von den Bandmitgliedern oftmals zur Zugabe gezogen wurden. Diese stammen aus dem Karteikartensystem „Dave“, welches während der Supporterphase III entwickelt wurde.
Blixa Bargeld hat die wichtigen Elemente aller Neubauten-Songs jeweils auf Karteikarten vermerkt, also zum Beispiel Angaben zu Instrumenten, Materialen, Songstrukturen oder Personen. Die 15 Stücke auf „The Jewels“ entstanden während dieser Phase III parallel zum Album „Alles wieder offen“.
Vor jeder „Jewel Recordings Session“ zogen die Bandmitglieder mehrere Karten und versuchten diese für sich selbst zu deuten. Nach spätestens zwei Tagen wurden die zumeist 2 bis 3 Minuten langen Stücke dann aufgenommen.
15 Monate lang wurde dann den Supportern jeweils zum 15. ein „Jewel“ als Download angeboten. Wie bereits im Neubauten-Interview angekündigt (Ox #76) sind diese „Jewels“ nun auch der Allgemeinheit zugänglich.
Daneben enthält diese CD ein 40-seitiges Booklet mit Fotos, den Songtexten und natürlich, den jeweiligen Anweisungen auf den Karten. Ergänzend gibt es sogar noch „Acht Lösungen“, ein 40-minütiges Quicktime-Video, in dem die Bandmitglieder vor laufender Kamera ihre gezogenen Karten deuten und so, manchmal ganz überraschend, mit ihrer eigenen Bandgeschichte konfrontiert werden.
Beispielsweise wenn N.U. Unruh für das Stück „Epharisto“ unter andrem die Karte „Durstiges Tier“ zieht, und hier dann aus dem „Instrumentenlager“ tatsächlich den Teil einer alten Wasserrohrleitung hervorzieht, hereinbläst und genau den Original-„Durstiges Tier“-Sound aufleben lässt.
Die Songtexte stammen zumeist aus Blixa Bargelds Traumprotokollen. Für Fans ein Muss, allemal.
Am 24.11.1990 spielten EINSTÜRZENDE NEUBAUTEN im Rahmen des WDR-Rockpalast-Festivals in der Düsseldorfer Philipshalle, und natürlich wurde der Auftritt in bewährter TV-Qualität mitgeschnitten, weshalb hier wie für alle DVDs der Serie gilt: beste Bild- und Tonqualität.
Blixa Bargeld und Band hatten 1989 ihr fünftes Album „Haus der Lüge“ veröffentlicht, man befindet sich zum Zeitpunkt des Konzertes so gesehen noch mitten in den Achtzigern, die Band ist noch das unberechenbare, geheimnisvolle Tier, nicht der Feuilleton-Liebling, zu dem sie sich (und speziell Bargeld) in den Neunzigern entwickeln sollte.
Unter den 16 Songs finden sich Klassiker wie „Sehnsucht“, „Yü-Gung“ (auf der DVD-Hülle steht „Yu Güng“ ...), „Zerstörte Zelle“, „Trinklied“, „Zeichnungen des Patienten O.T.“ oder „Letztes Biest am Himmel“ – all jene, für die das wesentlich EN-Opus mit „Fünf auf der nach oben offenen Richterskala“ abgeschlossen war, werden hier bestens bedient.
Die diversen Kameras ermöglichen es sehr nah dran zu sein, N.U. Unruh und F.M. Einheit bei ihren Percussionarbeiten mit Blechdeckeln und Bohrmaschinen zu beobachten. Auf der CD gibt’s das Ganze nochmal als Audiotracks.
„Wie schön, sich ein Jahr lang mit dem Ersten Weltkrieg zu beschäftigen ...“, blaffte Blixa Bargeld in gewohnt unvergleichlicher Art während der Lament-Performance in Lausanne von der Bühne herab. Nun also das Resultat auf Doppelvinyl, welches nicht als offizielles, neues Album gewertet sein will, sondern als Rekonstruktion einer Arbeit, welche auf die Live-Aufführung ausgerichtet ist, wie auf neubauten.org erklärt wird.
Und eigentlich möchte ich die Platte als die bisher am wenigsten gute der Gruppe zu bezeichnen – allerdings empfinde ich diese Aussage nach der eben erlebten Darbietung als Unverschämtheit.
Akustisch wurde mit „Lament“ die (Neubauten-)Welt gewiss nicht über den Haufen geworden, einige umgesetzte Konzepte langweilen sogar; aber vielleicht sollte jemand dieses Review schreiben, der/die seine/ihre Schulzeit nicht draußen vor der Tür verbracht und sich mit dem Ersten Weltkrieg tatsächlich auch auseinandergesetzt hat.
Ich neige mein Haupt, EINSTÜRZENDE NEUBAUTEN gehören für mich zu den größten Künstlern aller Zeiten und ich höre mir diese Platte jetzt solange an, bis sie mir gefällt!
Präzise, reich an Metaphern – so ist die Sprache hier, obwohl Blixa Bargeld im Song „Möbliertes Lied“ davon singt, dass die verbrauchten Metaphern im Giftmüll entsorgt wurden. Mutig und offen sezieren EINSTÜRZENDE NEUBAUTEN auf „Alles in Allem“ im vierzigstem Jahr ihres Bestehens die Hauptstadt Berlin. Die zehn Songs liegen im Spannungsfeld von Liebeserklärung, Erinnerungsverarbeitung und einem Autopsiebericht zur Lage der Stadt. Es gibt keine Ruinen oder Trümmer, keinen Staub über Maschinenlärm und Presslufthämmern, nur die Erinnerung, und die liegt nicht in Trümmern. Es geht um Selbstreinigung und darum, alte Geister zu vertreiben, mit Stimmen und Klängen, die oft versöhnlich und melodiös, nicht kakophonisch sind. Textlich läuft Blixa Bargeld zur Hochform auf. Der Band war das freie Assoziieren mit Worten wichtig. Das vor einiger Zeit von ihnen entwickelte Kartenspiel „Dave“ kam im Entstehungsprozess oft zum Einsatz: Die Bandmitglieder zogen aus einem Fundus von 600 beschrifteten Karten einzelne heraus und entwickelten musikalisch inspiriert auf Basis der vorgefundenen Begriffe die Songs. Im Stück „Am Landwehrkanal“ singt Blixa: „Wir hatten tausend Ideen und alle waren gut.“ Das trifft es im Kern. „Taschen“ ist ein wunderbarer Song mit Streichern und erinnert wohltuend an das tiefgründige „Stella Maris“ (1996) mit Meret Becker, in dem es erneut um Träume geht, um das gefräßige Ungetüm Traum, in dem man nichts sucht und nichts findet, vielleicht nur wartet. Für den Opener „Ten grand goldie“ hat Blixa Bargeld Fans um Worte und Gedanken gebeten: Welches Wort in deiner Sprache gefällt dir ganz besonders? Welchen Satzfetzen hast du zuletzt aus dem Mund eines anderen Menschen aufschnappen können? In „Grazer Damm“ schreitet er durch einen Traum, der ihn in seine Kindheit führt, welche er im Südwesten von Berlin verbrachte. Der Grazer Damm ist die Heimat einer deutlich erkennbaren Architektur des Nationalsozialismus, was im Text zu einer Vermischung von Traum und Historie führt. „Am Landwehrkanal“ handelt vom Tod Rosa Luxemburgs im Jahr 1919, ihrer Ermordung im Eden Hotel und der Versenkung ihres Körpers im Landwehrkanal (wo sie erst Monate später gefunden wurde). In „Tempelhof“ wird das Pantheon in Rom beschrieben, welches sich dann mit dem still gelegten Flughafengebäude in Berlin verbindet. Der „Symbolismus“ und die Offenheit für individuelle Interpretation bestimmten die Texte, als ob eine eigene Kunstform geschaffen wurde „Alles in Allem“ erscheint im Jahr der Ratte nach dem chinesischen Horoskop, dem Symbol für Einfallsreichtum und Vielfältigkeit. Was könnte besser zu EINSTÜRZENDE NEUBAUTEN passen? Fast auf den Monat genau kommt das Album passend zum siebzigsten Todestag von Kurt Weill. Er hätte diese Texte über „sein“ Berlin geschätzt.
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